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Opera 10 und das Browser-User-Interface

Lange Jahre war Opera der Browser meiner Wahl. Schon seit dem Jahr 2002 mit Version 6 bin ich dabei und hatte mir sogar eine Lizenz gekauft, als die Desktop-Version noch werbefinanziert war und die werbefreie Version kostenpflichtig. Opera war lange Zeit für mich der schnellste und bedienfreundlichste Browser unter den Windows-Alternativen, als der Internet Explorer verrottete, sicherheitsmäßig untragbar war und Firefox erst gerade langsam heranreifte. Unter Linux war Opera selbst dem selbstkompilierten, hochoptimierten Firefox überlegen.

Opera hatte von Anfang an eines echtes »Multiple Document Interface«, was später abgespeckt unter dem Namen Tabs in mittlerweile alle Browser eingebaut wurde. Für anspruchsvolle Websurfer war der »Norweger« hervorragend anpassbar und vereinfachte die Bedienung und das Lesen von Websites, indem man die Websites an seine Bedürfnisse anpassen konnte. Opera war meiner Erinnerung nach lange der einzige Browser mit einem brauchbaren Full-Page-Zoom, was für mich eines der entscheidenden Features war. Immer noch gibt es Alleinstellungsmerkmale, die ich so nicht in anderen Browsern finde (zumindest nicht ohne einen Wust an Plugins):

  • Schnelleinstellungen über F12 (z.B. JavaScript deaktivieren)
  • Eingebaute Mausgesten
  • User-Mode (Autoren-Stylesheet auf Knopfdruck deaktivieren) und viele vorgefertigte, ausbaubare Benutzer-Stylesheets
  • Bilder ausschalten
  • Das Hauptmenü, alle Kontextmenüs, sämtliche Toolbars sowie die Seitenleiste sind stark anpassbar
  • Die Tastaturbedienbarkeit (bei aktivierten Kurztasten) ist herausragend, man denke z.B. an die Spatial Navigation, die Tastenkombinationen sind allesamt änderbar
  • Einfache seitenspezifische Einstellungen (Cookies, JavaScript-Einstellungen, Benutzer-Stylesheet und -JavaScript)
  • Integrierte Notizfunktion
  • Integrierter Mail-/News-, RSS-, IRC- und Bittorent-Client (nutze ich persönlich zwar nicht, aber andere kommen damit auf meine Empfehlung hin gut zurecht)

Dadurch dass die Konfiguration der Menü- und Symbol- und Seitenleisten bis in die .ini-Konfigurationsdateien anpassbar war, ließ sich das komplette UI komplett ummodeln. Diese Konfigurationen ließen sich zudem mit anderen teilen. Dabei kamen, lange bevor es andere Browserhersteller wagten, mit ihrer UI von der seit Netscape 1 (!) tradierten Konvention abzuweichen, ziemlich radikale und kreative Interfaces heraus, die weit mehr auf den Kopf stellten als es die heutigen »Themes« vermögen.

Dass die Netscape-1-UI aus dem Jahre 1994 - von oben nach unten: Menüleiste, Symbolleiste, Adressleiste, Bookmark-Leiste, Viewport, Statusleiste - nicht der Weisheit letzter Schluss ist und an die veränderten Bedürfnisse des Websurfing angepasst werden muss, wurde aber schrittweise erkannt:

  1. Sechs Jahre nach Erscheinen von Netscape 1, im Jahr 2000, vereinigt Netscape 6 (Mozilla M16) Symbol- und Adressleiste. Das war zwar meiner Erinnerung nach auch prinzipiell im IE 5 möglich, aber keine Standardeinstellung.
  2. 2001 kam mit Mozilla 0.9.5 ein weitere Leiste hinzu, nämlich die Tab-Leiste. 2002 kam mit Phoenix 0.2 (der später Firefox heißen sollte) das integrierte Such-Feld neben der Navigationsleiste hinzu. Spätestens seit Firefox 1.0 im Jahr 2004 gehörten diese beiden Features zum Standard. (Das sie schon viel früher in Opera existierten, lasse ich hier einmal außen vor, denn mit Firefox wurden sie Mainstream.)
  3. Im Jahr 2006, war es ironischerweise der Internet Explorer 7, der diesen zunehmenden Wildwuchs an Bedienelementen Herr zu werden versuchte und die grundlegendste Reform seit Netscape 1 vornahm: Die Menüleiste wurde standardmäßig ausgeblendet, in Form einer Symbolleiste mit der Tab-Leiste verschmolzen und die restlichen Bedienelemente eingedampft.
  4. Diese Kompaktdarstellung machte Schule. Weniger bei den Vorbildern Firefox und Opera, sondern bei Chrome, der 2008 erschien. Chrome wurde mit dem Ziel eines besonders einfachen UI entwickelt und räumt mit allem vorhergehenden Ansätzen grundsätzlich auf, indem es sämtliche Interface-Konventionen des Betriebssystem missachtet: Keine Menüleiste, eine in die Fenster-Titelleiste eingebettete Tab-Leiste, eine aufs Kleinste zusammengeschmolzene Zeile mit Symbolen, Adressfeld und zwei Dropdown-Menüs. Dazu die optionale Bookmark-Leiste. Die Suchleiste fällt weg und ist in die Adressleiste integriert. Der Google-Chrome-Comic dazu.
  5. Eine ähnlich kompakte, wenn auch nicht ganz so radikale Kompaktdarstellung verwendet der neue, jüngst erschienene Safari 4. In Beta-Versionen für Windows wurde sogar damit experimentiert, die Tabs in der Titelleiste anzuzeigen.

Warum ich diese ganze Geschichte erzähle? Um zu sagen, dass mir diese Trends als Webnutzer weitesgehend gefallen. Und dass ich davon enttäuscht bin, dass die kommende Opera-Version 10 diese Trends völlig verschlafen hat.

Mit der Anpassbarkeit von Opera ging lange einher, dass man das UI tatsächlich zurechtstutzen musste, um vernünftig damit arbeiten zu können. Die Standardeinstellungen waren lange sehr eigenwillig und unklar, änderten sich von Version zu Version. Mit der werbefreien Version 8.5 hatte man endlich ein aufgeräumtes, stabiles Interface gefunden, das gleichzeitig sehr konventionell war und im Groben Firefox entsprach. Davon ist man seitdem nicht abgerückt, sondern hat nur vorher eingeführte Features wieder standardmäßig deaktiviert (die View Bar, die Start Bar).

Unter der Haube lässt sich Opera immer noch stark anpassen, etwa die Menüleiste komplett ausblenden oder in die Adresszeile integrieren. Gerade die Menüleiste hat sich ständig verschlechtert, ist unintuitiv strukturiert und bietet dem Benutzer nur noch wenige Optionen, die nicht anderweitig schneller erreichbar sind.

Ich hätte von Opera erwartet, eine Synthese zwischen Reduktion à la Chrome und der bewährten Vielseitigkeit und Anpassbarkeit schaffen. Opera bietet all diese Möglichkeiten bereits von Haus aus und hat tolle Funktionen, die in ein schlankes Interface intergriert werden könnten. Anstatt aber auf den Zug aufzuspringen, lässt man den Designer John Hicks das in die Jahre gekommene Interface bloß optisch aufmöbeln. Dabei sind sicher gute Ideen eingeflossen wie die Tableiste mit Seiten-Screenshots. Doch ich fürchte, man wird diese Features in der nächsten Version wieder als Schnapsideen verwerfen, wie es mit so vielen Interface-Reformen geschehen ist.

Beim täglichen Surfen hat Chrome bei mir längst Opera abgelöst. Natürlich auch, weil WebKit mit V8 immer noch schneller als Opera ist. Der Siegeszug von WebKit ist beispiellos. Dafür gibt es nicht den Komfort und die Einstellungsmöglichkeiten, die Opera bietet. JavaScript deaktivieren, Bilder ausschalten, ein Stylesheet hinzuschalten? Das geht im Chrome gar nicht. Zumindest noch nicht, nicht ohne Zusätze. Und weil sich selbst das neueste Opera Dragonfly noch umständlich anfühlt, sind es Firebug und Safaris Web Inspector, mit denen ich CSS und JavaScript entwickle. Selbst die Entwicklertools von Internet Explorer 8 integrieren sich geschmeidiger.

Warum wagt Opera nicht einmal einen großen Wurf?